Juli 2003: Die Wandergruppe des TSV Palmbach berichtet
Wanderung in die Vergangenheit von Palmbach
Als im Jahre 2001 Palmbach die Feier zum 300-jährigen Bestehen begann und wir uns dabei näher mit der Geschichte unseres Ortes befassten, kamen wir auf die Idee, den Fluchtweg der Waldenser Ende des 17. Jahrhunderts aus dem „Pellice-Tal“ in Piemont (Italien) zumindest in einem Teilstück nach zu wandern.
Die Waldenser wurden seinerzeit aus Glaubensgründen verfolgt und mussten aus Ihrer angestammten Heimat, der Gebirgstäler des Piemont, über etliche Gebirgspässe der Alpen bis nach Genf fliehen. Von dort aus reisten Sie dann weiter und 28 Waldenserfamilien wurde nach längerer Irrfahrt schließlich vom damaligen Herzog von Württemberg die heutige Gemarkung Palmbach zugewiesen. Zunächst nannten sie den Ort „La Balme“, im 18. Jahrhundert bürgerte sich dann der Name „Palmbach „ein.
Die Idee, diese „historische“ Wanderung durchzuführen, ließ uns nicht mehr los. Ins Besondere unser Uwe Löffler befasste sich sehr intensiv mit der Ausarbeitung und Vorbereitung der „Expedition“ in die Vergangenheit von Palmbach. Es musste Kartenmaterial sowie historische und touristische Informationen zusammengetragen werden, die Tagesetappen festgelegt und die Nachtquartiere gefunden werden. Im Nachhinein ist festzustellen: „Unser Uwe hat einfach an alles gedacht.“
Nachdem dann mit der Woche vom 19.-26. Juli endlich auch der Termin feststand, konnte das Unternehmen schließlich nur noch durch das Wetter aufgehalten werden. Aber auch hier hatten wir Glück und so konnte es am Morgen des 19. Juli losgehen.
1. Tag, Samstag, 19.Juli 2003
Hans-Peter, der sich als Fahrer zur Verfügung stellte brachte uns (Hans-Peter Bitto, Franz Ellerbeck, Uwe Löffler und Andreas Sutter) und unser Marschgepäck sicher an unseren Ausgangspunkt in „Salbertrand“,1032m ü/M und 72 Km von Turin entfernt. Dieser Weiler, inmitten von Feldern und Wäldern, ist wegen einer Schlacht in der Nacht des 23.August 1689 in die Geschichte eingegangen, in der zweitausend französische Soldaten von einer deutlich geringeren Streitmacht der Waldenser geschlagen wurden.
2. Tag, Sonntag, 20.Juli , 1. Etappe : Salbertrand - Usseaux
Unsere erster Wandertag begann gleich mit einem erbarmungslosen Anstieg von 1000m auf den 2566m hohen „Testa dell Assietta“. Was es bedeutet, mit einem 12-14kg schweren Rucksack bei ca. 30 o Celsius mehr als vier Stunden steil bergauf zu Gehen, hatte sich der ein oder andere von uns im Vorfeld bestimmt leichter vorgestellt. Nach einer Zwischenstation auf 1800m in einem kleinen Dorf wo wir freundlich empfangen wurden und wir letztmalig unsere Wasservorräte ergänzen konnten, wurde schließlich die Passüberquerung in Angriff genommen. Sicherlich machte sich jeder von uns beim Aufstieg so seine Gedanken, was uns auf dem 1.Gipfel unserer Tour erwarten würde, aber das was uns dort empfing, war ein einziger Alptraum. Nicht Stille und Einsamkeit oder ein überwältigendes Panorama; nein, auf dem Hochplateau fand ein Volksfest statt. Eine Blechlawine schlängelte sich auf einem unbefestigten Weg den Berg hinauf und hinunter und staubte uns Wanderer mächtig ein.
Wie erfuhren, dass hier Oben einmal jährlich am 20.Juli in Erinnerung an den Sieg der Piemonteser im Jahre 1747 über die Franzosen (Schlacht auf dem Assietta). Nachdem wir der Einladung zu einem Glas Wein gefolgt waren, suchten wir uns so schnell wie möglich den Abstieg um diesen „Alp“-Traum hinter uns zu lassen. Der Weg führte zunächst über steile Bergwiesen vorbei an einer Hochalm auf einen Steilabfall zu. Dort mussten wir über einige Felsabbrüche auf einem nicht ganz ungefährlichen Steig und mehrmals einen Bach überquerend steil hinuntersteigen. Danach ging es auf einem schmalen Pfad immer am Hang entlang abwärts. Der Weg schien uns endlos und unsere Beine, die solches nicht gewöhnt sind, begannen allmählich zu schmerzen.
Hinter jeder Kurve erwarteten wir unser Tagesziel, das Dorf Usseaux zu erblicken und immer wieder wurden wir enttäuscht. Dann endlich, es war schon nach 19.00 Uhr, waren wir endlich da. Wir kamen in ein sehr ursprüngliches Dorf, welches seinen Charakter seit hunderten von Jahren bewahrt hat. Man hätte meinen können, hier sei die Zeit stehengeblieben. Die Gassen sind so eng, dass kein Autoverkehr im Dorf stattfinden kann. Herrlich ! Schnell war auch unser Quartier gefunden. „Pzit-Rei“, eine Mischung aus einer Art Gruppenheim oder Berghütte. Nachdem wir uns mit der einzigen sich im Haus befindenden Dusche nach einander frisch gemacht hatten, wurden wir zusammen mit einer 14-köpfigen Holländischen Wandergruppe mit einem urigen Nachtmahl für die Strapazen des Tages belohnt. Salat, Fleisch, Polenta, hausgemachter Käse , Obst , Wasser, Kaffe und Wein so viel wir wollten; alles im Halbpensionspreis (4-Bett Zimmer) von 30 Euro inbegriffen. Schließlich fielen wir erschöpft und dennoch zufrieden die erste Etappe ohne größere Blessuren überstanden zu haben in unsere Betten.
3. Tag, Montag, 21.Juli 2003, 2. Etappe : Usseaux – Balziglia
Überraschend fit erwachten wir und machten uns nach dem etwas kargen Frühstück (Kaffee, Brot, Marmelade) auf den Weg unserer 2.Etappe. Abgesehen von der holländischen Wandergruppe, die an diesem Tag das selbe Etappenziel hatte wie wir, begegneten wir an diesem Tage nach durchschreiten des Dorfes Laux (2 km von Usseaux) mit Ausnahme eines Bergbauern auf der gesamten Wegstrecke dieses Tages keinem weiteren Menschen. Von 1350m ging es nun wieder Stunde um Stunde zunächst dem Tal entlang und später in vielen Kehren aufwärts bis zur Passhöhe des „Colle dell Albergian“ auf 2713m Höhe, dem höchsten Punkt unserer Tour. Nach einer ausgiebigen Rast auf einer verfallenen Hochalm kurz hinter der Passhöhe, ging es auf steilem Pfad vorbei an einem gigantischen Wasserfall teilweise in Serpentinen und dann dem Tal und einem Bach entlang Abwärts. Zeitweise begleitete uns leichter Nieselregen, welcher die Felsen etwas rutschig machte und wir dadurch noch mehr Konzentration auf unsere Schritte verwenden mussten. Schließlich hatten wir noch einiges vor uns und ein Verletzter war das, was wir am allerwenigsten gebrauchen konnten. Etwas erschöpft und doch glücklich auch die 2. Etappe gemeistert zu haben waren wir dann gegen 17.00 Uhr in Balziglia, einem ca. 30 Seelen Dorf der Gemeinde Massello im Germanasca-Tal.
Uwe hatte unser Quartier in einem alten Waldenserhaus von 1689 vorbestellt. Hierher und auf die umliegenden Felsen hatten sich etliche Waldenser im Frühjahr 1690 vor den Angriffen der französisch-savoyischen Truppen verschanzt. Nachdem man trotz heftigsten Widerstandes schließlich den Kanonen der Angreifer hoffnungslos ausgeliefert war, rettete man sich in einer waghalsigen Nacht- und Nebel-Aktion über steile Felsvorsprünge hinauf in die Berge. Geführt von Hauptmann Filipo Tron Poulat verließen die 360 Mann in Indianerreihe lautlos wie Schatten die Stellung. Im Morgengrauen, als die Trompeten zum Angriff bliesen, waren die Fliehenden schon weit entfernt. Unser Quartier hier war sehr einfach. Wir nächtigten in einem 16-Bett Schlafsaal auf engstem Raum (Übernachtungspreis 10 Euro).
Mit uns zum selben Zeitpunkt im Haus war Pastor Claudio Pasquet , der Pastor der Waldenserkirche in Torre Pelice. Pastor Galewski, der Pastor der Region, bei dem Uwe unser Quartier bestellt hatte und den wir glaubten hier zu treffen, war leider nicht da. So überreichten wir das uns von der Gemeindeverwaltung Wettersbach dankenswerter Weise zu Verfügung gestellte und von uns mit einer Widmung versehene Buch „Palmbach, Streifzüge durch die Ortsgeschichte“ stellvertretend Pastor Pasquet. Da dem Haus in dem wir nächtigten ein zwar kleines aber mit sehr viel Liebe errichtetes Waldensermuseum angeschlossen ist, wird unser Buch hier sicherlich seinen Platz finden und so vielleicht zur Bekanntheit unseres Ortes etwas beitragen können.
Zum Abendessen wurden wir mit dem Auto durch den Wirt des Bauerngasthauses eines 5km entfernten Nachbarortes abgeholt und nach dem Essen wieder zurückgebracht. Gegessen haben wir unter anderem Salate und Gemüse aus biologischem Anbau des eigenen Gartens des Gasthauses. Auch ein selbst gebrannter Schnaps, hergestellt aus den Kräutern der Berge wurde uns serviert.
4. Tag, Dienstag, 22. Juli 2003, 3. Etappe , Balziglia – Ghigo-Prali
Nachdem wir unser selbst zubereitetes Frühstück eingenommen hatten und das Waldensermuseum besichtigt hatten, verabschiedeten wir uns von Pastor Pasquet und machten uns auf den Weg unseres dritten Teilabschnittes. Uwe hatte uns erzählt, dass wir Heute nur eine weniger anstrengende Tour vor uns haben würden und so ließen wir es auch zunächst recht locker angehen. Auf unserem Weg entlang des Tales kamen wir durch etliche kleine uralte Dörfer, in welchen es teilweise sogar kleine Waldenserschulen (ein Raum mit ca. 20 qm ) zu besichtigen gab. Eine der Minischulen war sogar noch in Betrieb, was man an den aktuellen Schulheften, welche auf den Tischen lagen erkennen konnte. Vorbei an Didiero, wo wir am Vorabend noch so blendend gespeist hatten, ging es nun wieder den Berg hinauf .
Während Franz und Hans-Peter den zwar etwas längeren aber dafür weniger anstrengenden Weg bevorzugten, wollten Uwe und Andreas unbedingt die steil ansteigende Abkürzung benutzen. Dies sollte sich jedoch als fataler Fehler erweisen, denn wir beide verloren den Weg und stiegen auf einem immer steiler werdenden Hang quer durch den dichten Wald nach Oben. Mit unserem schweren Gepäck konnten wir teilweise nur noch durch die Unterstützung unserer Wanderstöcke den steilen Aufstieg bewältigen. Da ein Zurückgehen wegen der Steilheit noch schwieriger gewesen wäre, arbeiteten wir uns unter Einsatz der letzten Kräfte in fürchterlicher Hitze weiter bergauf. Irgendwann gelangten wir dann glücklicherweise wieder auf einen offiziellen Weg. Nachdem wir diesen wieder ein Stück zurückgegangen waren, fanden wir unseren richtigen Pfad wieder und stiegen zur Passhöhe auf. Dort erwarteten uns Franz und Hans-Peter bereits ungeduldig, denn sie hatten sich inzwischen doch etwas Sorgen über unseren Verbleib gemacht. Nach einer kurzen Rast ging es wieder abwärts und anschließend mussten wir nochmals einen Bergkamm überwinden um schließlich wieder einmal ziemlich abgekämpft (zumindest Andreas und Uwe) unser Etappenziel „Ghigo“ zu erreichen.
In unserem bis dahin schönsten und geräumigsten Quartier wollten wir zur Erholung und um neue Kräfte zu sammeln hier vor der letzten anstrengenden Etappe einen Ruhetag einlegen.
5. Tag, Mittwoch, 23. Juli 2003
Den Ruhetag nutzten wir zu einer ausgiebigen Besichtigung des Ortes. Bei Ghigo handelt es sich im Gegensatz zu allen auf unserer Tour durchwanderten Orte um einen Fremdenverkehrsort. Wir besuchten die Waldenserkirche im Ort, in deren Gemeindesaal eine moderne Bücherausstellung mit dem Namen „Pra-libro“ stattfand. Diese wurde wie wir später erfuhren unter großem Werbeaufwand durchgeführt. Ziel der Aktion ist, der italienischen Bevölkerung, welche in der Rangliste der Bücherwürmer in Europa ganz weit Hinten rangiert, das Buch näher zu bringen. Wir erfuhren, dass die Resonanz auf die Ausstellung bis dahin hervorragend war.
Kennenlernen durften wir in Ghigo auch Pastor Pfannkuche, ein Deutscher, der seit nunmehr drei Jahren mit seiner Familie in Ghigo lebt und das Pfarrhaus bewohnt. Er nahm sich sehr viel Zeit für uns und schilderte uns sehr lebendig und mit sehr viel Hintergrundwissen ausführlich die Geschichte der Waldenser und Ihr Leben in den Bergtälern. In der alten Kirche von Ghigo ist zusätzlich ein sehr schönes Museum eingerichtet, welches sowohl über die Geschichte der Waldenser als auch über die Entwicklung des Skisportes und der dazu gehörenden Ausrüstung informiert. In sehr viel Eigenarbeit der Bevölkerung und Zusammentragen der noch im Besitz der Leute gewesenen Ausrüstungsgegenstände ist das Museum zu einem richtigen Kleinod geworden. Dank Pastor Pfannkuche konnten wir das eigentlich an diesem Tage geschlossene Museum besichtigen und durch die fachkundigen Ausführungen von Herrn Pfannkuche sehr viel erfahren.
6. Tag , Donnerstag, 24. Juli 2003 , Ghigo – Boblio Pellice – Torre Pellice
In Anbetracht des an unserem letzten Wandertag vor uns stehenden Aufstieges von 1450m auf 2451m und des darauf folgenden Abstieges bis 734m starteten wir bereits um 7.15 Uhr .
Beim Aufstieg merkten wir alle, dass uns der Ruhetag gut getan hatte, denn wir bewältigten die 1000 Höhenmeter in weniger als drei Stunden. Wir hatten gehofft, vom Passübergang eine herrliche Aussicht genießen zu können, aber dichte Wolken, die sich den Berg heraufzogen verwehrten uns jegliche Sicht ins Tal. Beim Abstieg etwa 100m unterhalb der Passhöhe wurde der Nebel so dicht, dass wir enorme Orientierungsprobleme hatten und beinahe die entscheidende Abzweigung unserer Route nach „Bobblio Pellice“ verpassten. Stellenweise betrug die Sicht unter 10 Meter und wir mussten höllisch aufpassen nicht einen von uns zu verlieren. Da das Gelände zudem äußerst unwegsam war und extrem steil abfiel, war es teilweise nicht ganz ungefährlich. Es war im Grunde auf unserer Tour die einzig wirklich kritische Situation und es gingen uns beim Abstieg Gedanken durch den Kopf, was denn wäre, würde sich hier auch noch einer von uns so verletzten, dass er nicht mehr gehen kann. Glücklicherweise sind wir aber letztlich trotz des inzwischen auch noch einsetzenden Regens sicher durch den Nebel gekommen. Der Abstieg war sehr lang und mühsam und die Beine taten uns allmählich auch wieder weh. Etwas abgekämpft erreichten wir aber dann doch, zufrieden die letzte Etappe gemeistert zu haben, Bobblio Pellice.
7.- 8. Tag , Freitag 25 Juli und Samstag 26. Juli 2003, Angrogna, Torre Pellice und Umgebung , sowie 9. Tag , Sonntag, 27. Juli - Rückreise
Nach Beendigung unserer Wanderung hatten wir noch zwei Tage zur Verfügung, welche wir zu Besichtigung der Orte Villa Pellice und Torre Pelice, sowie der Umgebung von Angrogna, unserem Standort nutzten.
In Angrogna, einem kleinen Bergdorf, welches ebenfalls über eine waldensische Vergangenheit verfügt, besuchten wir das „Monumento di Chanforan“ sowie die Höhle „Gheisas d`la Tana“, in der sich seinerzeit die Waldenser eine Zeitlang versteckt hielten. In Torre Pellice ist ein sehr großes Waldensermuseum beheimatet, in welchem wir noch einmal sehr viel über die Waldenser erfahren haben. Leider sind die Beschreibungen im Museum ausschließlich in Italienisch. Dem Museum übergaben wir das zweite uns von der Ortsverwaltung Wettersbach zur Verfügung gestellte Buch über die Ortsgeschichte von Palmbach. Wir hoffen, das es dort einen gebührenden Platz finden wird.
Unseren letzten Abend ließen wir noch einmal bei einem Glas gutem piemontesischem Rotwein das Erlebte Revue passieren , bevor uns unser Hans-Peter am Sonntag wieder sicher nach Hause brachte.
(Andreas Sutter)
Fotos: Uwe Löffler und Andreas Sutter